Yin Yoga: Philosophie, Entstehung und Wirkung

Yin Yoga Childspose
Yin Yoga Childspose

Wer sich für eine Stunde Yin Yoga anmeldet und mit einem schweißtreibenden Workout rechnet, wird vermutlich enttäuscht: Mit anderen Yogastilen hat Yin auf den ersten Blick nur wenig gemeinsam. Beim Yin Yoga geht es darum, auf passive Weise die tieferen Ebenen von Körper und Geist zu erreichen. Du fragst dich, wie das funktionieren soll? Dann lies einfach gleich weiter. 

Was genau ist Yin Yoga?

Im Gegensatz zu Hatha Yoga hat Yin seinen Ursprung nicht (nur) in Indien. Schon der Name weist darauf hin: Bei der Entwicklung des Yin Yoga waren Einflüsse aus dem Taoismus (auch Daoismus) im Spiel, der Religion und Philosophie des alten China. Das Yin Yoga, wie wir es heute kennen, wurde maßgeblich von Amerikanern entwickelt: Paulie Zink, Paul Grilley und Sarah Powers. 

Paul Grilley wurde in den 1980er Jahren auf Paulie Zink aufmerksam, einen besonders beweglichen chinesischen Kampfsportler. Zink hatte schon als Teenager mit Yoga begonnen und lernte später von seinem chinesischen Meister neben Kung Fu auch das taoistische Yoga. Im Laufe der Zeit entwickelte er aus den unterschiedlichen Einflüssen seinen eigenen Stil. 

Grilley, der vorher selbst lange Ashtanga und Bikram Yoga praktiziert hatte, war fasziniert und wurde zu Zinks Schüler. In der Methode des Yin Yoga verknüpften die beiden ihr Wissen über Yoga und Anatomie mit den Lehren der chinesischen Medizin. Durch Sarah Powers, die im selben Studio wie Paul Grilley unterrichtete, erreichte die Methode schließlich größere Bekanntheit. 

Im Vergleich zu den meisten Anderen gängigen Yogastilen ist Yin viel ruhiger. Statt die Muskeln anzuspannen, geht es um das bewusste Loslassen und eine Balance der Energien. Yin Yoga und das traditionelle Yoga Indiens haben trotzdem einige Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel beim Namen: Die Silbe „Ha“ steht für die Sonne, „Tha“ für den Mond – und auch im Yin Yoga dreht sich alles um ein kosmisches Gegensatzpaar. Außerdem wurden viele der Asanas im Yin Yoga aus der Hatha Yoga Pradipika abgeleitet. Im Yin Yoga wurden sie allerdings neu benannt, auch wenn sie den selben Ursprung haben. 

Yin, Yang und der Taoismus

Yin und Yang symbolisieren im Taoismus die Dualität unseres Kosmos als die beiden zentralen gegensätzlichen Kräfte. Yin steht im übertragenen Sinn für das weibliche Prinzip, Yang für das männliche. Dabei geht es allerdings nicht um Gender-Stereotypen, sondern vielmehr um zwei unterschiedliche Qualitäten, die jeder Mensch in sich trägt. 

Yin kannst du dir warm, weich, dunkel und eher passiv vorstellen, während Yang als heiß, hell, hart und aktiv beschrieben wird. Beide Prinzipien sind gleichwertig und ergänzen sich. Yin und Yang werden auch über den Taoismus hinaus verwendet- zum Beispiel in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Sind Yin und Yang im Gleichgewicht, kann das Qi, die zentrale Kraft oder Lebensenergie des Taoismus, ungestört fließen und der Mensch ist gesund. 

Taijitu, das Symbol für Yin und Yang ist dir bestimmt schon mal begegnet: Es zeigt zwei ineinander verschlungene Tropfen („Fische“) in Schwarz und Weiß, die gemeinsam in perfekter Harmonie die Gesamtheit des Universums repräsentieren. Die kleinen Punkte in der jeweils entgegengesetzten Farbe zeigen, dass in jedem Yin ein bisschen Yang wohnt – und umgekehrt. 

Die Meridiane als Leitbahnen von Qi

Warst du schon mal beim Yin Yoga? Falls ja, weißt du, dass es dabei um einiges ruhiger zugeht als in vielen anderen Yogastunden. Yin ist eine langsame, meditative Praxis: Den größten Teil der Stunde verbringst du im Sitzen oder Liegen auf deiner Matte. Das Ziel von Yin Yoga ist es, Yin und Yang in unserem Körper ins Gleichgewicht und so Qi, die Lebensenergie, zum Fließen zu bringen. 

Das geschieht vor allem über die Energiebahnen des Körpers: Was im Yoga und Ayurveda die Nadis sind, sind in der TCM die Meridiane. Indem du die Positionen für eine relativ lange Zeit hältst, sollen im Yin Yoga auch die Meridiane erreicht werden, die sich besonders tief in Faszien und Bindegewebe befinden. Jede der klassischen Positionen, die im Yin Yoga definiert sind, bezieht sich auf einen der 12 Hauptmeridiane. 

Yin Yoga wirkt vor allem über Schwerkraft und Entspannung. Während bei anderen Stilen die Asanas fließend verknüpft oder schnell gewechselt werden, besteht eine Yin Yogastunde manchmal nur aus fünf oder sechs Übungen. Die hältst du dafür für mehrere Minuten. Viele Lehrer*innen verwenden gerne Hilfsmittel, um die Effekte der Haltungen zusätzlich zu unterstützen. Obwohl die meisten Übungen prinzipiell recht einfach sind, wird die Zeit da manchmal ganz schön lang. Im Anschluss an eine Haltung nehmen die Übenden in der Regel kurz eine neutralisierende Position ein. 

Eine Yogapraxis ohne Ehrgeiz und Leistungsorientierung

Übungen zum Aufwärmen gibt es beim Yin Yoga meist nicht – außer du buchst eine Stunde, die mit einem sportlicheren Yang-Teil beginnt und erst später zum Yin übergeht. Yin-Experten gehen davon aus, dass man das Fasziengewebe am besten ohne Aufwärmen erreicht. Dafür ist im Yin Yoga viel Platz für Individualität. Es geht nicht darum, eine bestimmte Form zu erzielen: Passt eine Pose nicht zu deinem Körper, wird sie kurzerhand abgewandelt.  

Leistungsorientiertes Denken ist beim Yin Yoga grundsätzlich fehl am Platz. Was zählt, ist, dass du präsent bist. Während du dich in einer Haltung befindest, geht es eigentlich nur um eines: Um Hingabe. Deine Hauptaufgabe ist es, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Das gibt deinem Körper die Möglichkeit, sich in seinem eigenen Tempo zu öffnen. 

Interessanterweise ist genau das Stille, Passive der Grund, warum Yin Yoga für viele Menschen viel herausfordernder ist, als zum Beispiel Vinyasa. Bei einem schnellen und anstrengenden Flow kann selbst das hibbeligste Monkey Mind nicht anders, als die Gedankenspirale kurzzeitig zu unterbrechen. Wer dagegen zehn Minuten regungslos in einer anstrengenden Haltung ausharrt, wird unweigerlich mit sich selbst konfrontiert

Tiefsitzende Verspannungen machen sich dann genauso bemerkbar, wie lästige Gedanken und Gefühle, die du irgendwo vergraben hast. Die Magie von Yin Yoga zeigt sich, wenn es dir gelingt, dich ganz auf das Erlebnis einzulassen. Hier zeigen sich deutliche Parallelen zu Achtsamkeit und Meditation: Du nimmst bewusst wahr, was ist – und lässt es einfach sein. Dann lösen sich vielleicht plötzlich Blockaden, von denen du vorher gar nichts wusstest. 

Yin Yoga

Yin Yoga: Übungen für die Faszien 

Yin Yoga kann dem Rücken helfen und wirkt intensiv auf Bindegewebe und Faszien: Das Netz aus Kollagenfasern, das Muskeln und Organe umschließt. Dort, wo nach der traditionellen chinesischen Lehre die Meridiane verlaufen, finden sich häufig auch die Faszienketten des Körpers. Durch die anhaltende Kompression und Dehnung der Übungen im Yin Yoga lockerst du dort Verklebungen.Yin Yoga kann dir somit helfen, beweglicher zu werden und Verspannungen zu beseitigen.  

Du möchtest mal ausprobieren, wie die Asanas im Yin Yoga auf dich wirken? Dann hast du wahrscheinlich die Qual der Wahl. Yin gehört inzwischen zu den beliebtesten Yogastilen – viele Studios bieten eine oder mehrere Yin-Stunden pro Woche. Falls du dich schonmal gefragt hast, ob Yin Yoga und Restorative Yoga ein und dasselbe sind: Der Hauptunterschied besteht darin, dass Restorative Yoga auf reine Tiefenentspannung abzielt. Yin Yoga kann dagegen durchaus anstrengend sein – wenn auch weniger durch Anspannung als durch intensive Dehnung. 

Natürlich kannst du auch für dich allein zu Hause Yin Yoga üben. Als Anfänger*in empfehlen wir dir allerdings, dir zunächst Unterstützung durch eine*n Lehrer*in zu suchen oder eine gute Online-Stunde zu nutzen. Achte darauf, deinen Körper langsam an jede Übung heranzuführen: Statt 100 Prozent zu geben, bleibst du im Yin lieber bei 60 oder 70 Prozent, dafür konzentrierst du dich intensiver auf deine Atmung und dein Sein. 

Hilfreich ist eine bequeme und gut gepolsterte Yogamatte. Kleiner Wink mit dem Zaunpfahl: Genau so eine findest du in unserem Shop – und zwar so schön, dass das Üben gleich noch mehr Spaß macht. Tolle und einfache Yin Yoga-Übungen, die du ganz leicht in deinen Alltag einbauen kannst, sind unter anderem: 

  • Schmetterling und liegender Schmetterling (Hüftöffner: Fußsohlen zusammen, Knie fallen nach außen)
  • Halbmond oder Banane (Seitliche Dehnung: Rückenlage, Arme über dem Kopf, Arme und Beine gestreckt nach rechts bzw. links)
  • Nadelöhr (Dehnt Hüfte und Po: Rückenlage, ein Bein aufgestellt, der Knöchel des anderen liegt auf dem Oberschenkel, Hände greifen die Rückseite des aufgestellten Beins)
  • Sphinx (Rückbeuge und Kräftigung der Wirbelsäule: Bauchlage, Unterarme vor dir auf dem Boden, Kopf und Brust angehoben)

Fazit: Sanfte Methode mit Tiefgang 

Yin Yoga ist nur scheinbar „einfach“: Auf sanfte Art und Weise löst die stille Praxis verhärtete Faszien, Muskeln und Gefühle. Auch ohne Schweiß und Kraftaufwand kann das eine große Herausforderung sein. Wir wollen dir nicht zu viel versprechen – aber wenn du es schaffst, dich auf die Intensität einzulassen, hat Yin Yoga das Potenzial, in deinem Körper und Geist einige Schräubchen zu drehen. 

Viele Yogis, die zunächst eine dynamischere Praxis bevorzugen, kommen nach einer Weile auf den Geschmack. In mancher Hinsicht ist Yin Yoga eine Art Hybrid zwischen Asanapraxis und Meditation: Wenn du schon länger vorhast, eine regelmäßige Meditationspraxis in deinen Alltag zu integrieren, ist Yin Yoga vielleicht ein guter erster Schritt. Und falls du nach einer anderen Methode suchst, um dein Gedankenkarussell zum Stillstand zu bringen, empfehlen wir dir unseren Blogbeitrag zur Mantra Meditation.

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